Wir verwenden auf dieser Website ausschließlich technisch notwendige Cookies. Wir machen dies, damit unsere Website funktioniert und Sie sie komfortabel bedienen können. Wir nutzenden den Inhalt dieser Cookies zu keinem anderen Zweck.
Mehr dazu finden Sie in der Datenschutzerklärung

Cookies benutzen
Hospizbewegung-Hilden :: Jub_Roth


10-jähriges Jubiläum

Vortrag Herr Fritz Roth

Trauer ist Liebe


Wandel bringt Unsicherheit. Und selten war ein Zeitabschnitt mehr vom Wandel bestimmt als der heutige von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft. Vieles hat seine Bedeutung verloren. Beispielhaft ist der Verlust der Trauerkultur. Waren Tod und Trauer für die Generation unserer Großeltern noch selbstverständlicher Teil des Lebens, haben die Menschen heute diesen wichtigen Themenkreis weitgehend aus ihrem Alltag verdrängt. Die Konfrontation mit dem Tod geschieht meist unvorbereitet.

Trauer setzt aber immer eine Beziehung voraus, Beziehungen mit ihren schlechten und mit ihren guten Erfahrungen. Und wie in der Liebe und in jeder Beziehung sollten diese Gefühle auch in der Trauer von dem, der damit leben muß, selber ausgedrückt werden. Dieses „Selber Ausdrücken“, besser noch „Begreifen“, kann vielleicht Ungelöstes lösen und schmerzlich Vermisstes neu verbinden.

Denn wie heißt es so Mut machend in dem „Hohen Lied der Liebe“ von Paulus: Aber die Liebe hört nimmer auf ...

Jeder hat in der Trauer seine eigenen Gestaltungs- und Ausdrucksformen. Dabei kann es hilfreich sein, auf vorhandene Rituale und Gestaltungsangebote zurückzugreifen oder eigene zu entwickeln und zu entdecken. Rituale besitzen eine besondere Kraft, unabhängig davon, in welchem Kontext sie stattfinden. Sie werden von fast jedem, der sie einmal erlebt oder ausgeführt hat, als „heilige“, heil machende Akte beschrieben. Auch wenn sich der Sinn der Handlungen dem Verstand oft zunächst verschließt, begreifen – im wahrsten Sinne des Wortes – können wir sie alle. Die einzige Voraussetzung dafür ist: Rituale müssen stimmig sein, d.h. aus dem Herzen heraus gestaltet werden.

Der Verstand kennt tausend Antworten auf Verlust und Tod. Doch all unsere Fragen, unsere Gefühle, unsere Schmerzen und unsere Sehnsucht verlangen angesichts des Verlustes, des Unwiederbringlichen nach mehr, nach anderem. Emotionen rufen – so sagt es ihr Name – nach Bewegung, nach Handlung.

Die stärkste Wirkung entfalten Rituale, wenn sie im gewohnten, alltäglichen Umfeld eingesetzt werden. Und was könnte da vertrauter sein als das Zuhause, der Ort, wo einst auch das Leben gefeiert wurde?

Rituale brauchen Zeit. Denn alles, was unter Zeitdruck geschieht, verhindert das sorgsame Erfühlen persönlicher Bedürfnisse. Rituale benötigen Zeit: Zeit des Sich-Trauens, Zeit des Vertrauens.

In diesem Zusammenhang möchte ich trauernden Menschen Mut machen: Behalten Sie Ihre Toten zu Hause oder holen Sie sie in ihr Heim zurück – wider alle gesetzlichen Vorschriften, wider die Ratschläge vieler Experten oder guter Freunde und Verwandten. Nehmen Sie sich einen Ihnen gemäßen Zeitraum, um sich vom Verstorbenen zu verabschieden. Oder fordern Sie ihn jedenfalls bedingungslos ein. Vertrauen Sie Ihrer eigenen inneren Stimme, denn Trauernde wissen intuitiv, wann es Zeit ist, den Leichnam wegzugeben.

In vertrauten Räumen, mit genügend Zeit und manchmal mit etwas Unterstützung sind Trauernde in der Lage, ihre Gefühle in einer förderlichen Weise auszudrücken und zu ritualisieren sowie im wahrsten Sinne des Wortes Endlichkeit zu „be-greifen“. Doch wie bei der Liebe, so gilt auch in der Trauer: Je persönlicher und eigenständiger der Ausdruck ist, desto befreiender, erlösender und belebender ist die Wirkung.

Rituale sind nicht spektakulär. Sie sind ganz schlicht. Sie sind im Bereich unserer Sinneserfahrungen angesiedelt, wurzeln in unserer Herkunft. Das zentrale Ritual, aus dem heraus sich die unterschiedlichsten Rituale entwickeln können, ist das Abschiednehmen. Wie im Alltag der Gruß im Zentrum menschlichen Miteinanders steht, so ist der letzte Abschied vom Körper für den Zurückbleibenden von größter Wichtigkeit. Er steht am Anfang eines Prozesses, an dessen Ende der Betroffene erfährt, dass Tod niemals Ende, sondern vielmehr Übergang und damit der Beginn einer andersartigen, ewigen und unverbrüchlichen Verbundenheit mit dem Verstorbenen ist.

Ein erstes Ritual, um den Unterschied zwischen „tot“ und „lebendig“ zu begreifen, ist das Berühren der Leiche. Noch einmal durchs Haar streicheln, die geliebten Wangen nochmals berühren – auch in ihrer jetzigen Kälte, ein letztes „Ich hab’ dich lieb“ sagen! Auch wenn es schwer vorstellbar scheint, so ist es doch ein langsames Ertasten der unverrückbaren Tatsache. Verstärkt wird die Wirkung, wenn Angehörige ihre Toten selber anziehen und dabei Kleider wählen, die dem Verstorbenen auch im Leben etwas bedeuteten.

Es entspricht tiefem Respekt, den Leichnam in ein Behältnis zu legen, das von den Lebenden selber gebaut oder gestaltet wurde. Und es kann gut tun, die Beziehung zum Verstorbenen mit Symbolen, Bildern, Gegenständen bei der Gestaltung des Sarges nochmals aufleben zu lassen, bevor man ihn endgültig gehen lässt. Bei der Gestaltung des Sarges ist die Teilnahme von Kindern oder Jugendlichen sehr hilfreich, da deren unbefangener Umgang mit dem Tod Erwachsenen Mut macht.

Sehr persönlich sind Sargbeigaben. Sie legen Erinnerungsspuren, sind Zeugen gelebten Lebens. Sie sollten auch erlaubt sein, wenn der Verstorbene eingeäschert wird. In unseren Nachbarländern ist dies möglich. Und sollten die deutschen Krematorien dies verweigern, kann man vielleicht in angrenzende Länder ausweichen.

Das Gestalten einer individuellen Traueranzeige kann ebenfalls beim Verarbeiten helfen. Doch auch dies benötigt Zeit. Ebenso das angemessene und den persönlichen Wünschen entsprechende Integrieren der Angehörigen, der Freunde und Trauergäste in die Trauerfeierlichkeiten. Wer einmal erlebt hat, wie viel Kraft, welche Verbundenheit und wie viel Getragensein Angehörige aus persönlichen Beileidsbezeugungen von Trauergästen ziehen – seien es kleine, in die Trauerfeier integrierte Reden, dem Sarg beigelegte Abschiedsworte, einzelne rund um den Sarg bzw. die Urne niedergelegte Blumen, persönliche Musikbeiträge oder Ähnliches mehr -, der weiß um die Heilkraft solcher Gesten und Rituale.

Wenn am Ende einer Feier zur Kremation jeder ein Licht anzündet und dieses zusammen mit einem Gefühl, einem Gedanken an den Verstorbenen am Sarge abstellt, fällt dieses Licht auch in von Trauer dunkle Seelen, spendet Licht und Hoffnung für die kommenden schweren Tage.

Den Sargdeckel selber schließen, den Sarg, die Urne selber der Erde übergeben, das sind Zeichen bewussten Weggebens. Gleichzeitig sind sie ein sehr menschlicher Abschluss des irdischen Lebensweges. Und so, wie wir zu Beginn unseres Lebens hoffentlich von liebevollen Händen begrüßt worden sind, so bildet die persönliche Grablegung den Abschluss eines Lebens in Gemeinschaft.

Jeder Kreis schließt sich irgendwann. Die vorgestellten Rituale sind bloß wenige Möglichkeiten, Anregungen für Menschen, die mit einem Verlust leben müssen oder sich rechtzeitig mit ihrem eigenen Tod oder dem Abschied von lieben Menschen auseinandersetzen wollen. Vielleicht sind sie die ersten „Krücken“ in einer an Ritualen arm gewordenen Gesellschaft. Vielleicht machen sie Mut, in sich hineinzuhorchen, auf die eigene innere Stimme zu hören, das Gehörte zu leben. Nicht jeder traut sich das aus eigener Kraft zu, und wer dabei Hilfe und Unterstützung wünscht, sollte sich nicht scheuen, sie zu suchen und in Anspruch zu nehmen.

Literatur:
F. Roth, Der Trauer eine Heimat geben. Für einen lebendigen Umgang mit dem Tod,
Bergisch Gladbach 1998
F. Roth, Lebendige Trauer. Dem Tod bewusst begegnen, Bergisch Gladbach 2002
F. Roth, Trauer ist Liebe. Was menschliche Trauer wirklich braucht, Bergisch Gladbach 2006